Das Ziel von jedem Bergbau ist die Gewinnung von Rohstoffen. Doch dafür muss eine Lagerstätte zuerst einmal gefunden werden. Im Glücksfall reichen die Spuren davon bis zur Oberfläche, wie beim Alten Lager am Rammelsberg. Von dort ausgehend konnte die Suche und der Abbau in die Tiefe erfolgen. Doch wie werden Bereiche entdeckt, die tief im Berg verborgen sind?
Diese Frage beantwortet ein neu entdecktes Streckensystem im Rammelsberg. Es hängt mit einem bereits bekannten Querschlag zusammen, der vom Rathstiefsten Stollen abzweigt. Er hat ein niedriges, rundes Profil und führt gewunden in einen Alten Abbau. Genau in diesem Übergang führt ein Schachtstumpf nach oben, der wegen einer erkennbaren Firste von unten für blind gehalten wurde.
Bei einer Befahrung konnte oben jedoch eine scharf abknickende enge Fortsetzung festgestellt werden. Die Strecke führt gewunden, immer wieder die Richtung ändernd nach oben. Dort haben sich über der Sohle tiefe Sinterbecken gebildet, die von der Jahrhunderte langen Unberührtheit zeugen. Am oberen Ende mündet die Auffahrung in einem Streckenkreuz, an dem zwei Strecken im rechten Winkel voneinander abführen. Nach 7,5 m endet die erste Strecke in einer Ortsbrust. Rechts davon befindet sich eine weitere Ortsbrust, die einen erst frisch begonnenen Streckenansatz darstellt. Die zweite Strecke, die von dem Streckenkreuz abzweigt, hat einen runden, niedrigen Querschnitt. Form und Gestalt lassen sich mit dem Querschlag von unten gleichsetzen. Auch diese Strecke endet nach 7,5 m in einer Ortsbrust, die fast bis zur Firste mit Versatz angefüllt ist. Wiederum führt im rechten Winkel davon eine Strecke ab, die auf derselben Länge nachvollziehbar ist.
Durch Vergleiche mit anderen Bergwerken konnten die niedrigen und rundlich aufgefahrenen Strecken, die gewunden durch den Berg führten, bereits ins Mittelalter datiert werden. Unerwartet hat sich jedoch auf den Versatzmassen in der Ortsbrust ein Lederfragment erhalten. Eine C14-Analyse ergab eine Datierung in das 9. / 10. Jahrhundert und konnte die typologische Einordnung konkretisieren.
Einen sehr interessanten Aspekt stellt außerdem die regelhafte Anlage des neuentdeckten Streckensystems dar. Die Auffahrung der Strecken wurde jedes Mal nach 7,5 m abgebrochen und dann im rechten Winkel dazu fortgesetzt. Diese Vorgehensweise ergibt nur dann einen Sinn, wenn in taubem Gestein gearbeitet wurde, ohne dass einem natürlichen Gang gefolgt wurde. Offensichtlich wurde mit den Strecken nach einer Lagerstätte gesucht. Dies fand systematisch nach bestimmten Regeln statt. In dem neu entdeckten Streckensystem lassen sich demnach bereits im 9. / 10. Jahrhundert bestimmte Konventionen fassen, wie sie im Allgemeinen erst viel später kodifiziert und in schriftlichen Quellen fassbar wurden.